Der letzte Flug nach Hause - NZ1961



Heinz Matysik auf dem Balkon seines Bueros - das Beste aus zwei Welten
Interview Heinz Matysik
Ort: Konsulat Rarotonga
Datum: 24 April 20
Zeit: 11:00Uhr morgens
Interviewer: Tim Meyer

Strahlend blauer Himmel, nur vereinzelte weisse Woelkchen, die Brandung rauscht auf das Riff und bricht sich in weisseen Baendern vor der azureblauen Lagune am noerdlichen Ende der Landbahn des Flughafens auf Rarotonga. Rarotonga ist die Hauptinsel der Cook Inseln, ein Land im Suedpazifik, dass aus 15 Inseln besteht. Die Cook Inseln trennen 4 Flugstunden von Neuseeland, 6 von Australien und 10 von den USA. Es ist ein Urlaubsparadise und das Brottosozialprodukt wird zu ueber 70% vom Tourismus erwirtschaftet.

Dies ist nicht die Geschichte einer Erfuellung eines Lebenstraumes von einer Reise ans andere Ende der Welt die ein langes Arbeitslebens kroenen sollte. Dies ist die Geschichte vom Air New Zealand Flug NZ1961, einem Evakuierungsflug organisiert von den Deutschen Botschaften in Wellington und Canberra in Zusammenarbeit mit dem hiesigen deutschen Konsulat auf Rarotonga. Aufgrund der Corona Krise waren 65 Europaeische Touristen auf Rarotonga gestrandet. 9 weiter kamen mit einem Charterflug aus Samoa und kompletierteninsegesamt 74 Passagiere davon 69 Europaer, 4 Russen und 1 Japanerin, die auf diesem Flug nach Wochen des Wartens und der Unsicherheit ueber Australien zurueck nach Deutschland geflogen wurden.

Der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland auf den Cook Inseln, Heinz Matysik(46), hatte massgeblich am Erflog dieses Fluges mitgearbeitet. Auch wenn er sein Wirken sehr diplomatisch als nur ein kleines Raedchen im grossen Diplomatie System beschreibt. Ich hatte diese Woche das Vergnuegen mich mit Herrn Matysik ueber das Zustandekommen dieses Evakuierungsfluges in seinem Buero auf Rarotonga zu unterhalten.

Der Blick von Matysik's Buero auf den Ruderclub und Trader Jack's
Heinz Matysik ist hauptberuflich Anwalt und betreibt seine eigene Kanzlei auf Rarotonga. Hier kennt ihn fast jeder, es ist ein kleines Eiland mit einer Hauptstrasse, die einmal 32km rundherum fuehrt. Knapp 10 Tausend Menschen leben auf der tropischen Insel, die hauptsaechlich von Neuseelaendern ferquentiert wird. Aber waehrend des Sommers in der suedlichen Hemisphere bekommt die Insel auch viele Europaeische Gaeste, darunter auch eine gute Anzahl Deutscher Touristen. Insgesamt machen Europaeische Gaeste rund 7% der 170000 Touristen pro Jahr aus.

Heinz Matysik hat eine Doppelte Staatsbuergerschaft, sein Vater ist Deutscher und seine Mutter Cook Insulanerin so hat er einen cookislandischen/neuseelaendischen und einen deutschen Pass. Seine deutsche Ex-Frau lebt mit den gemeinsamen beiden Kindern in Osnabrueck und Matysik verbringt regelmaessig Zeit in Deutschland. Darueberhinaus, ist er als erflogreicher Anwalt praedestineirt fuer eine diplomatische Rolle als Honorarkonsul. Hauptaufgaben sind es, in erster Line Anlaufstelle fuer deutsche Reisende zu sein. Der Konsul unterstuetzt in der Regel bei der Kommunikation mit lokalen Behoerden; sei es bei medizinischen Notfaellen oder einem verlorenen Pass. Der Konsul kann in solchen Situation mit Rat und Tat zur Seite stehen. Unterschriften beglaubigen und im extrem Fall kann er sorgar den sogenannten Reiseausweis zur Rückkehr nach Deutschland austellen.

Wie es im Leben oft so geht, sind es die Menschen, die man kennt, die einem die Tueren oeffnen koennen. Auf den Posten des Honorarkonsuls kann man sich nicht bewerben, da wird man berufen. Herr Matysik hat in Auckland zwei Jahre von 2005-2007 fuer Erich Bachmann gearbeitet, der mittlerweile selbst als Anwalt zum Honorarkonsul der Bundesrepubilk Deutschland in Auckland, Neuseeland aufgestiegen war. Und eben jener ehemalige Chef hat ihn angesprochen, ob er sich eine Rolle als Honorarkonsul auf Rarotonga vorstellen koennte. Fuer Herrn Matysik war die Anfrage ein Ehre und er bejahte umgehend.

Die perfekte Gelegenheit sich wieder mit seinen deutschen Wurzeln zuverbinden. Ausserdem hegte er schon laenger den Wunsch seine Deutschkenntnisse wieder etwas aufzufrischen und da kam die Anfrage wie gerufen. Insgesamt hat der ganze Prozess 18 Monate gedauert, bis aus der Anfrage die offizielle Ernennung wurde zu der der Botschafter Gerhard Thiedemann aus Wellington eigens anreiste. Zu Ehren der Ernennung gab es einen kleinen Cocktail in der Anwaltskanzlei auf Rarotonga zu der alle auf der Insel residierenden Deutschen geladen waren. Ich war auch dabei und habe ein in Bremen gebrautes Beck’s genossen. Das Wappen mit dem Bundesadler wurde an der Aussenwand angebracht und Herr Matysik war offiziell zum Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland der Cook Inseln ernannt worden.

Bundesadler in Avarua, der Hauptstadt der Cook Inseln
Als Heinz Matysik die Geschichte erzaehlt lacht er kurz auf, den das Wappen wurde von einem deutschen Handwerker, der seit langem auf der Insel lebt, montiert und da ist sich Matysik sicher, es wird auch bei Sturm nicht wegfliegen.

„Gute deutsche Wertarbeit.“ sagt Matysik.

Rarotonga liegt mitten im Zyklonengebiet, die Wirbelstureme treten in der Regel zwischen November und April in diesen Breitengeraden auf, mit Windstaerken von bis 180 km/h sind nicht ungewoehnlich. Da muss so ein Wappen schon extrem gut an der Aussenwand befestigt werden.

Herr Matysik war der Annahme, dass die Rolle letztendlich recht uberschaubar sein wuerde. Es kamen im Schnitt jaehlrich um die 700 deutsche Touristen auf die Insel, wie viel Paesse konnten da schon verloren gehen? In der Zwischenzeit wuerde es bestimmt einige lauschige Gartenfeste bei dem neuseelaendischen und australischen diplomatischen Vertretungen geben mit lecker Ordeuvre und Champagner. In dieser Zeit durfet der frisch gebackene Honorarkonsul pro Monate eine handvoll Emails schreiben. Seine Rolle war mehr representative als aktiv und alles war friedlich im Paradies. Und dann kam Corona.

Mit einem mal waren 12000 deutsche Reisende in Neuseeland gestrandet, die innerhalb von einer Woche evakuiert werden mussten. Der Arbeitsaufwand war immens. Es wurden 10 Tausend Deutsche innerhalb einer Woche aus Neuseeland nach Hause geflogen, man stelle sich die Logistik vor. Wirklich beeindruckend. Welchen Stellenwert Deutsche Touristen fuer Neuseeland haben kann man vielleicht am Besten an der Reaktion der Menschen in Auckland ablesen. Das Wahrzeichen der groessten Stadt in Neuseeland, der Sky Tower (vergleichbar mit dem Berliner Fernsehturm), wurde in den Farben Schwarz, Rot, Gold erleuchtet, als die Evakuierungsfluege die Stadt gen Europa verliesen.

Aber man musste die Reisenden ja erstmal finden und registieren und das nicht nur in Neuseeland sondern im gesamten Pazifischen Raum – Samoa, Fiji, Cook Inseln etc. Zu diesen Zweck hat die Botschaft die Webseite   


eingerichtet, auf der sich Deutsche registrieren konnte. Fuer Europaer wurde darueber hinaus die Webseite


eingerichtet. Ausserdem wurden Aufrufe auf Facebook geschaltet, mit der Bitte, sich umgehend bei den jeweiligen Botschaften und den Konsulaten zu melden. Waehrenddessen, begannen sich im gesamten pazifischen Raum und dem Rest der Welt die Grenzen zu schliesen. Der Korridor die Reisenden nach Hause zu bekommen wurde dramatisch enger und das mit jedem Tag der verging. Der allgemeine Aufruf war an Deutsche und Europaer gerichtet.
Nun fanden sich auf den Cook Inseln auch Britsiche Staatsbuerger. Aber wie geht man mit denen nach Brexit um? Sind sie noch als Mitglieder oder nicht zu behandeln? Mit einem Mal musste sich der Honorarkonsul vorsehen, auf den Cook Inseln nicht in ein diplomatisches Fettnaepfchen zu treten. Dann kam die Anfrage aus Welington: Wie viele Deutsch habt ihr in den Cook Inseln? 134 war die exakte Antwort und davon konnten 113 zureuck nach Hause fliegen, bevor die Grenzen geschlosssen wurden. Gestranded waren letztendlich noch 31 Deutsche von 65 Europaern insgesamt auf Rarotonga.

Die Vorbereitungen fingen etwa drei Wochen vor Abflug an. Hauptsaechlich ging es in dieser Phase darum die Registrierung und Lokalisierung der zu evakuirenden Menschen zu organisieren. Koordiniert wurde dieses Unterfangen von der deutschen Botschaft in Wellington. Matysik gibt ein Beispiel das zeigt, wie stark sich die Deutsche Regierung fuer die Rueckkehr ihrer Staatsbuerger eingesetzt hat. Zu normalen Zeiten, gibt es zwischen den Cook Inseln und Samoa keinen direkten Flugverkehr, aber was ist schon normal waehrend Corona? Es stellte sich heraus, dass 5 Deutsche und 4 weitere Europaer auf Samoa gestrandet waren und ihre einzige Chance nach Hause zu kommen war NZ1961.

Viele Emails gingen hin und her bis die Sondergenehmigungen erteilt wurden und der Flug zwischen den Insel-Nachbar-Staaten durchgefuehrt werden konnte. Erschwerend kam hinzu, dass zu dieser Zeit die Inselgruppen auch ihre Grenzen zu machten und sich die Ausreisebestimmungen fast stuendlich aenderten. Zum Glueck hat der lokale Flugveteran und Airline Gruender von Air Rarotonga, Ewan Smith gute Kontakte nach Samoa und konnte erfolgreich vermitteln. Die Menschen brauchten ein medizinisches Zeugnis das sie COVID-19 negativ waren, Landebestaetigungen und Einreiseerlaubnisse. Am Ende waren es dann 9 Reisende die mit Talofa Air von Samoa aus nach Rarotonga geflogen wurden, um den Evakuierungsflug NZ1961 am Samstag zu erreichen.

Die Botschaft in Canberra kam dann circa eine Woche vor Abflug ins Spiel und kuemmerte sich um die eigentliche Logistik: Wer, wie, wann und mit wem abfliegen wuerde. Es brauchte Abfluggenehmigungen, den Paragraph 6 Schein, Ein und Weiterreise-Bescheinigungen. Aber der Stress war noch nicht vorbei. Eine Stunde vor der Deadline fuer die offizielle Landebescheinigung auf Rarotonga war diese Formalie von den cook-islandischen Behoerden immer noch nicht bestaetigt worden. Heinz Matysik bekam einen Anruf von einem, zu diesem Zeitpunkt recht aufgeregten Militaerattache aus Australien: 

„Wir brauchen diese Landebescheinigung innerhalb einer Stunde. Sonst kommt der Flug nicht zu stande!“   

NZ1961 hing am sprichwoertlichen seidenen Farden. Matysik konnte mit seinen Kontakten beim Aussenministerium auf den Cook Inseln einen Eilantrag stellen, der innerhalb von einer halben Stunde die Landegenehmigung erwirkte. In allerletzter Minute kam dann schliesslich alles zusammen.

NZ1961 kurz vor dem Abflug aus Rarotonga
Die Maschine, ein Dreamliner Boeing 787-9 ist am 18 April um 14:50 von Rarotonga aus abgeflogen und um 17:17 Uhr in Sydney, Australien gelandet. Man stelle sich das vor, das Flugzeug bietet ueber 290 Passagieren platz, bei lediglich 74 Fluggaesten, war zumindest das social distancing kein Problem. In Sydeney wurde die Reisegruppe mit Reisenden aus Fiji komplettiert und die Weiterreise fuehrte mit Katar Airways ueber Doha zureuck nach Frankfurt.

„Das Gefuehl am Flughafen war sehr geloest, positiv und voller Dankbarkeit aber auch Vorfreude auf zu Hause gepraegt“, berichtet Matysik. Der Honorarkonsul glaubt das liegt vor allem daran, dass die Cook Inseln in der Woche vor dem Abflug als COVID-19 Frei Zone deklariert wurden. Dadurch konnten die gestrandeten Menschen sich auf der Insel frei bewegen und die letzten Tage vor Abflug noch ein bisschen ausspannen und so etwas wie einen normalen Urlaub erleben.

In dem Ganzen hin und her gab es dann auch noch einen medizinischen Notfall. Direkt in der Woche vor dem Abflug erlitt ein deutscher Gast einen Herzinfarkt. Die Person war eigentlich auf NZ1961 gebucht, musste dann aber am Sonntag vor dem Abflug mit dem Medivac nach Neuseeland ins Krankenhaus evakuiert werden. Dem Patienten geht es den Umstaenden entsprechend gut und er erholt sich jetzt in Neuseeland, bis die Gesundheit und die Grenzen einen Heimflug erlauben.

Vor Abflug aus Rarotonga musste jeder Reisende eine Erklaerung unterschreiben die im guten Beamtendeutsch wie folgt lautet: Erklärung gemäß § 6 Konsulargesetz und Registrierungsformular. Uebersetzt bedeutet es, das sich jeder Reisende verpflichtet die Reisekosten an den Deutschen Fiskus zurueckzuzahlen. Dieses musste von Honorarkonsul in einem Pre-Check-In- Check ueberprueft werden bevor die Reisenden zum normalen Check-In am Air New Zealand Schalter durften. Zum Zeitpunkt der Unterschriuft, wussten die Menschen nicht, wie teuer ihr Flug werden wuerde. Es wurde von Seiten der deutschen Botschaft in Canberra, Australien lediglich zugesichert, dass sich der Preis an einem regulaeren Economie Class Ticket orientieren wuerde. Vertrauen ist ja bekanntlich gut.

Unter den Deutschen befindet sich auch ein Stammgast der die Inselgruppe 1992 zum ersten Mal und seid dem jaehlrich besucht hat. Es war garnicht so leicht, diesen Mann ausfindig zu machen, da er nicht viel Zeit in seiner Unterkunft, sondern bei einheimsichen Freunden verbringt. Zwar hatte er sich muendlich registriert und sein Abflugswunsch im Konsulat kundgetan, aber bis einen Tag vor Ablfug diesen Wunsch nicht schriftlich per Email oder durch Registrierung auf der website bestaetigt. Herr Matysik konnte die Behoerden nur mit einer persoenlichen Garantie davon ueberzeugen, den Namen des Mannes auch ohne Unterschrift aufs Flugmanifest zu setzten. 

„Am Ende haben aber alle den Flug geschafft, die auch mit wollten.“ weiss Matysik. 

Was Herrn Matysik am meisten im Gedaechtnis bleibt, ist die Tatsache, wie viele Menschen am Zustandekommens dieses Fluges mitgewirkt haben. Natuerlich fiel ihm hier auf Rarotonga eine Schluesselrolle zu, aber im Grossen und Ganzen, sieht er es doch als eine kleine Leistung, die ohne die lokale wir internationale Unterstuetzung niemals zum Erflog gefuehrt haette.

„Als ich realisiert habe, wie andere europaeische Nationen mit ihren Buergern umgegangen sind und ich dann den Enthusiasmus der deutschen Behoerden gespuehrt habe, war ich richtig stolz deutscher Staatsbuerger zu sein. Es war sehr bewegend zu sehen, wie sich um die deutschen Reisenden gekuemmert wurde. Da wurde keiner im Stich gelassen und jeder, der nach Hause wollte, ist auch nach Hause gekommen.“

Er schloss seinen Kommentar mit den Worten:

„Wenn ich das naechste Mal eine Reise buchen werde, dann auf meinem deutschen Pass, da weiss ich, dass ich immmer wieder nach Hause komme.“

Beim ersten Photoshooting war das Licht noch nicht 100%, deshalb mussten wir uns nochmal treffen, um das Titelbild aufzunehmen. Deutscher Perfektionismus unter Palmen
Teil dieses nach Hasue kommens fuer die 74 gestrandeten Touristen gewesen zu sein erfuellt ihn mit Stolz. Wie Eingangs erwaehnt, Heinz Matysik ist praedestiniert fuer die diplomatische Laufbahn, nicht nur aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und seiner doppelten Staatsbuergerschaft, sondern vor allem deshalb, weil er hart arbeitet, in Krisensituationen fokussiert und ergebnisorientiert wirtschaftet und am Ende ganz bescheiden da sitzt und sein eigenes Wirken nicht so wichtig nimmt. Ein deutscher Diplomat, der seinem Land alle Ehre macht. Die deutschen Besucher, die auf den Cook Inseln Urlaub machen, koennen froh sein, Herrn Matysik als Honorarkonsul auf der Insel zu haben. Sie koenenn sicher sein, wenn etwas unvorhergesehenes passiert, ist da jemand, der helfen wird. In diesem Fall hat Herr Matysik seinen Teil dazu beigetragen, dass der Urlaub von 74 Europaener nicht im Albtraum sondern mit Happy End geendet hat.

Danke, fuer dieses Gespraech.

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